Mit investigativer Fantasie und unter Aufbietung enormer Detailfülle entwirft die 1969 geborene Janice Kerbel fiktive Planspiele, in denen sie sich quasi hinterrücks ans Wirkliche heranpirscht. Ob im Buch «15 Lombard St.», 1999, dem minutiös recherchierten Szenario eines perfekten Bankraubs, oder mit der Erfindung einer kompletten Insel in «Bird Island Villas», 2000, samt touristischer Vermarktung im Web - stets entfalten Kerbels Projekte Möglichkeitsformen, in denen Vorstellungskraft und Wirklichkeit miteinander zu konkurrieren beginnen.

Die in London lebende kanadische Künstlerin präsentiert Arbeiten aus «Home Climate Gardens», sowie eine neue, eigens für die Galerie konzipierte Arbeit aus der 1999 begonnenen Serie «Home Fittings». Bei Letzterer operiert Kerbel mit einem analytischen Gestus, der an die kriminologische Perspektive von «Bank Job», 1999, und «15 Lombard St.» erinnert. In eine Grundriss-Zeichnung der Galerie oder Institution, die diese Arbeit ursprünglich ausstellt, trägt die Künstlerin mit akribischer Sorgfalt vor Ort ermittelte «Sight-» und «Soundlines» ein. Das sind jene Achsen, auf denen man sich ungesehen beziehungsweise ungehört bewegen kann, also etwa ohne sich in angrenzenden Raumteilen durch Schattenwurf oder das Betreten knarrender Bodendielen zu verraten. So könnte sich auch die aktuelle Arbeit «Home Fittings #21 unmittelbar in Handlung übersetzen lassen. Formal knüpft eine solche Arbeit an Strategien der Concept-Art an. Dass Kerbel mit ihrer Raumanalyse aber ausgerechnet ein «Verschwinden des Betrachters» als Erfüllung des Werkes avisiert, ist eben auch eine ironische Pointe auf die Concept-Art-Maxime von der Dematerialisierung der Werke.

In «Home Climate Gardens» entwirft Kerbel Gärten für Innenräume. Auf präzise ausgeführten Inkjet-Prints, die wie architek- tonische Konzepte wirken, visualisiert sie einzelne Räume und darauf abgestimmte Pflanzengemeinschaften. Kerbel bezieht sich dabei auf konkrete Orte, ohne diese allerdings genauer zu benennen. Ein Grossraumbüro, ein Waschsalon, das Zimmer eines Studenten, ein Loft, ein Fensterbrett in einer Schule, ein rotierendes Restaurant sind darunter. Keines der Projekte wurde bisher umgesetzt, doch steht hier ohnehin das Experiment im Vordergrund, Wohnräume als Naturraum zu imaginieren und im Zuge der penibel durchgeführten Planung auch die perspektivischen Verschiebungen zu fokussieren, die sich aus solcher Hybridisierung ergeben. So werden die Räume etwa unter Aspekten wie Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit betrachtet oder Arrangements an jahreszeitlichen Wachstumsperioden der Pflanzen orientiert. Der Aufbau der sehr funktional gehaltenen Drucke folgt einer durchgängigen Struktur: Die Bildmitte zeigt das Bepflanzungsschema, oben links ist der Aufriss, unten rechts sind Titel, Anordnung im Raum und klimatische Faktoren dargestellt. Kerbel vermittelt hier also primär Information und nutzt dazu ein striktes visuelles Schema. Doch gerade mit dieser kanalisierten Form von Anschaulichkeit lässt sie den Blick auch für Vorstellungsräume frei werden und schafft auf diese Weise imaginäre Kompositionen für eine mögliche Realität.

Jens Asthoff / Kunstbulletin