Loose Container

Die Erfindung des Eisenbetons lässt sich auf einen denkbar unspektakulären Untersuchungsgegenstand zurückführen: den Blumentopf. Mitte des 19. Jahrhunderts war Joseph Monier, ein im Jardin des Tuileries angestellter Gärtner, auf der Suche nach einer Alternative zu den bestehenden zerbrechlichen Pflanzkästen aus Ton oder Holz – und legte damit, quasi im Vorübergehen, das Fundament für die Entwicklung des wohl wichtigsten Baustoffes des kommenden Jahrhunderts. Ohne bewehrten Beton wären die Bauten der Moderne, des Konstruktivismus, des Brutalismus, und noch vielmehr die allgegenwärtigen Infrastrukturprojekte bar stilistischer Zuordnung schwer vorstellbar. Doch am Anfang stand eben der Topf. Ein Behältnis, das denjenigen die an den Wänden der Ausstellung Loose Containers aufgehängt sind, wahrscheinlich nicht unähnlich war. 

Wo die Blumentöpfe Moniers auf eine klare Funktion abzielten, entziehen sich diese Wandbehältnisse einem erkennbaren Zweck und scheinen das Gefäß mehr zu referenzieren, als ihm funktional eine Form zu geben. Umrahmt von dieser losen Hängung, eröffnet sich eine nicht weniger unbestimmte Szenerie offenbar übrig gebliebener, verwitterter Gegenstände. Gleich Relikten einer anderen Zeit stehen diese im Raum und lassen dadurch die Behältnisse an der Wand wie die Kapitelle vergangener Säulenformationen erscheinen. Wie auch diese Töpfe, sind die Objekte am Boden einerseits unmittelbar im Alltag verankert und anderseits durch ihre Ma­te­ri­a­li­tät aus diesem Kontext herausgelöst: ein Regenschirm dessen leichte Membran von festem Gestein überzogen zu sein scheint; eine in Beton eingefrorene aufgerollte Matte; ein an der Wand hängendes Tuch, dessen textile Leichtigkeit von der Schwere des Materials neutralisiert wird; ein wie ein zerflossener Teppich anmutendes Sandornament. Wie vom Blick der Medusa getroffen wirken diese versteinerten Gegenstände: mitten im Leben eingefroren, sind die eben noch schwingenden Falten der Tischdecke jetzt vollkommen erstarrt und ihrer ursprünglichen Berufung ebenso enthoben wie verbunden. In dieser doppelten Präsenz, als in sich widersprüchliche Referenz zu einem Produkt einerseits und zu einem Material andererseits, deutet sich eine die gesamte Arbeit durchziehende Mehrdeutigkeit an. Gleichzeitig liegen innerhalb dieser Versteinerungen des Alltags aber auch wesentlich ausdifferenziertere Elemente begraben: die Unterkonstruktion eines Regenschirms, Metallstäbe, Glas und sogar Solarpaneele. Ähnlich der Sklaven Michelangelos wirken diese als wären sie innerhalb des Gesteins gefangen – oder noch nicht vollständig aus ihm herausgearbeitet. Im Angesicht dessen stellen sich die Objekte dann nicht so sehr als Relikte dar, sondern vielmehr als noch nicht beendet, als im Rohzustand befindlich. In eben dieser Ambivalenz, zwischen Artefakt und Prototyp, Beginn und Ende, klingt das Thema der Metamorphose an: die Versteinerung nicht als ein Ende, sondern als Umwandlung. Gegenstände des täglichen Gebrauchs werden in Beton festgehalten – einem künstlichen Stein, der selbst zum Großteil aus Sand besteht, welcher wiederum einst in einem Stein gefügt war. Die Objekte werden somit zu einer Reflexion geologischer Vorgänge, von Verfestigung, Verdrängung, Erosion und Sedimentation. Materielle Grundlage dieser Plastiken, ob als Sand, Beton oder Glas, ist stets das Gestein, welches jedoch diverse Formen (von fest verbacken bis zum lose arrangierten Granulat) annimmt. Dadurch vermitteln sich die Objekte als Produkt einer Auseinandersetzung über die Rolle natürlicher Prozesse – welche heutzutage vielfach vom Menschen selbst angetrieben werden.

Im Rahmen des gestalterischen Prozesses entstehen dabei Abbilder einfacher Alltagsgegenstände, durch ihre industriell-serielle Herstellung deutlich zivilisatorisch geprägt, was den sich andeutenden Konflikt zwischen Natur und Kultur noch zu vergrößern scheinen. Einerseits sind die Objekte klar der Gestaltung zugeordnet, andererseits tendieren sie zu natürlichen Formationen, womit diese Hybriden die Frage aufwerfen, wann etwas zu etwas Gemachten wird, beziehungsweise wann sich aus der Kontingenz formaler Möglichkeiten eine gestaltete Form ergibt. Wodurch wird aus zusammenhangslosem Sand, aus Dreck gewissermaßen, eine bedeutungsvolles Gebilde? In diesem Licht tritt Gestaltung nicht als Neuschöpfung auf, sondern als ein Prozess des Umordnen, Umräumen und Umformen – als Metamorphose. Ein geleiteter, aber ergebnisoffener Prozess, dessen Unbestimmtheit gewissermaßen auch die Geschichte des Eisenbetons widerspiegelt, der von Monier zunächst nicht als Baustoff entwickelt worden war und dessen Einsatzmöglichkeiten in den Folgejahren erst in ihn hineingelesen wurden. In eben diesem Sinne deuten die Loose Containers an, anstatt zu benennen und verweigern sich – schon expressis verbis, als lockere, unbestimmte Behältnisse – sowohl einem einzelnen Inhalt, als auch einem folgerichtigen Erzählstrang und stellen diesem eine Vielzahl von Beobachtungen, Auseinandersetzungen und Ausdrücken gegenüber.

Winston Hampel