Dirk Stewen - Negative

„Negative" ist die erste Fotoausstellung von Dirk Stewen. Obwohl der Künstler ständig mit der Kamera hantiert und über ein entsprechend umfangreiches fotografisches Archiv verfügt, hat man nur selten Gelegenheit reine Fotografie zu sehen bevor sie Teil der Stewenschen Produktions- und Verwertungskette wird. Fotopapiere und Fotografien sind für ihn Inhalts-und Materialfundus, dessen er sich als Werkstoff bedient, indem er das vermeintliche Abbild dekonstruiert, zerstört und in grossformatigen Collagen Teil eines neuen inhaltlich-formalen Bezugssystems werden lässt. Vergleicht man die collageartige Arbeiten seiner verschiedenen parallel entstehenden Werkkomplexe der letzten Jahre, stellt man fest, daß er der Fotografie als solcher wieder mehr Raum gibt. So fungieren die schwarzen Tuschehintergründe seiner Black Boards als Displays z.t. intakter, sich überlagernder Fotografien, deren inhaltliche Kontexte sich in der Fläche gegenseitig zu nivellieren scheinen. Die Idee für diese Ausstellung war ein Vorschlag der Galeristin. Es war der Wunsch nun endlich Aufnahmen als intakte Prints sehen und zeigen zu können.  Zu gross war das Bedauern, daß bei jedem ihrer Studiobesuche neben dem Fotoprint wie im OP-Saal Schere und anderes Dekonstruktionswerkzeug bereitlagen. Auf den Prints erkannte man sofort grossartige Bilder eines Flaneurs, dessen über Jahre geschärfter, umherschweifender Blick en passant alles Umgebende scannt, selektiert und auf den Moment genau festhält. Überwiegend analog und im vollen Format. Dabei entstanden entspannte Bilder des Augenblicks, die extrem präzise in linearen Konstallationen, Spiegelungen und Formen sind. Häufig mit Ansätzen von Narration, dem Beginn einer Geschichte, die sich aber wieder verliert in der Präzision des Formalen. Die Orte sind gleichzeitig Unorte, seien sie auch als Tokio, L.A., New York, Hamburg identifizierbar. Jeder Ort ist, egal wo, immer der Ort von Stewen, der ihn fokussiert und in Besitz nimmt. Insofern ist die Ausstellung, die erst auf wiederholtes Insistieren der Galeristin zustande kam, höchst selbstreferenziell. Immer wieder taucht vertrautes Werksvokabular auf: Luftschlangen, Telefone. Auf den Fotos gibt es mehr Telefone als Menschen, oder aber Menschen an Telefonen. Letztere tauchen wieder und wieder im Werk von Stewen auf. Als Reminiszenzen an Kommunikation, des Miteinanders beschreiben sie Orte des Sozialen, Orte des Handelns. Auch als Künstler und Galeristin sich endlich auf das Projekt geeinigt hatten, sah Stewen das Thema Fotoausstellung kaum weniger kritisch als zuvor. Zu gross war die Skepsis gegenüber den konventionellen Behauptungen des Mediums. Wissend um diese Kritik, die schließlich in Stewens Werk verankert ist, war die Galeristin dann doch überrascht als sie vermeintlich neu entstandenes Fotomaterial sichten wollte. Es gab nur ein einziges neues Foto. Quasi eine Art Selbstporträt. Vorausschauend mit historischer Verankerung. Ästhetisch an Bauhausfotografie erinnernd, was damals als Avantgarde galt und Fotografie weniger als konkret abbildendes denn als abstrakt lichtaktives Medium sah, zeigt es die Hand des Künstlers neben einem zerschnittenen Fotoabzug. Alle anderen Arbeiten der Ausstellung entstammen Stewens Archiv, entstanden zwischen 2003 und 2017. Und so folgt Stewen auch in dieser Ausstellung der archivarischen und im Produktionsverlauf neu konnotierenden Strategie seiner Collagen, Black Boards und Soft Corps. Die Fotografie ist ein Abbild von Etwas - Architektur, Menschen, Gegenstände - dessen atmosphärische Wirkung man über die gewählten Printmaterialien prägen und beeinflussen kann. So entschied Stewen von Bild zu Bild neu worauf er ausdruckte. Auf Barythpapier, Pappe oder als Ink-jet-print… eine scheinbare Aneinanderreihung diverser Stile, so als verweise man auf zurückliegende Jahre Fotografiegeschichte. Einer Geschichte, die angewiesen ist auf den erkennbaren Stil, die Handschrift des Autors. Genau das kommentiert Stewen - relativierend, nicht wertend. 
 
Karin Guenther